Radfahren im Winter ist in erster Linie nur eine Frage der richtigen Ausrüstung. Klar kann man sich auch einen Tacx oder einen Hometrainer in die Wohnung stellen. Erfahrungswerte zeigen aber, dass das Training im Haus eine sehr zähe Angelegenheit ist. Durch den fehlenden Fahrtwind schwitzt man zwar ohne Ende, man sollte sich aber deshalb nicht einbilden, dass das viel bringen würde. Auf so einer Rolle kann man sehr konstant fahren, wird nicht ausgebremst, durch Ampeln, Inseln etc., d.h. eine Stunde drinnen fahren ist immer etwas mehr wert als eine Stunde draußen.
Trotz allem gilt: wer im Radfahren deutlich nach vorn kommen will, der muss fahren und zwar jede Menge. So viele Stunden kann man im Haus kaum fahren, abgesehen von der Monotonie stellen sich Indoor auch deutlich früher Sitzprobleme ein. Was man sicherlich machen kann, ist, ganz präzise Intervalle zu fahren. Das ist so draußen nicht möglich und verschafft auch etwas Abwechslung, aber im Endeffekt ist eine Stunde Training nur eine Stunde Training – und das ist im Radsport praktisch nichts.
Insbesondere für Triathleten ist es aus meiner Sicht daher immer sinnvoller eine Stunde draußen zu laufen als sich eine Stunde auf einem Hometrainer zu quälen.
Besser ist es natürlich gleich draußen zu radeln, im Endeffekt wird der Sommersportler im Winter gemacht. Will man besser als die Konkurrenz sein, dann muss man irgendetwas anders machen oder z.B. trainieren, wenn es andere nicht tun. Im Frühjahr sind alle heiß wie Frittenfett und fahren viel bzw. versuchen es. Da ist dann der Vorteil ganz auf der Seite der Ganzjahresfahrer, denn die sind an größere Umfänge gewöhnt und können im Trainingslager sofort durchstarten. Wer erst im März sein Rad aus dem Keller holt, wird des öfteren Probleme und auch einen Hungerast bekommen.
Wer ganzjährig fährt, der weiß es im Frühjahr auch zu schätzen und hat richtig Spaß, wenn es von Tag zu Tag wärmer wird. Wer den ganzen Winter nur drinnen war, der friert im Frühjahr bei 2 oder 8 Grad, nimmt den Unterschied nicht wirklich war.
Meine Einheit vom 22.11.2015, 5Grad Außentemperatur, dazu Wind, lt. Garmin Connect 23km/h:
Der Wind ist meist der entscheidende Faktor, es gibt diverse Windchill-Tabellen, lt. der auf Wikipedia sind es bei 5 Grad und 60km/h schon -1,8 Grad, bei 0 Grad Außentemperatur gefühlte – 8,8.
Und 60km/h sind schnell erreicht. Fahre ich mit 35km/h und kommt der Wind mit 25km/h direkt von vorn, dann ist das schon erreicht. Anhand der Tabelle kann man auch sehen, dass alles über 0 Grad noch relativ easy ist, wenn es kälter wird, hört der Spaß dann langsam auf.
Besonders kritisch sind die Bedingungen mit Sonne und Wind. Fährt man bei -5 Grad und 30km/h Wind selbst 30km/h genau in die Windrichtung, dann ist man auf großer Fahrt. Das ist einer dieser wenigen glorreichen Momente im Leben eines Ausdauersportlers, in dem alles passt. Man spürt keinen Fahrtwind, es ist wunderbar warm, man hört keinerlei Geräusche außer vielleicht den Freilauf. Leider dauern so Momente aber nicht so lang. Wenn man an so einem Tag dann noch sehr dick angezogen war, hat man aufgrund der Sonne schon ordentlich geschwitzt. Dann geht die Sonne unter, es wird kälter, man fährt in die andere Richtung und ist bei der nächsten Abfahrt mit 50km/h und Wind von vorn klatschnass geschwitzt einer gefühlten Temperatur von annähernd – 20 Grad ausgesetzt, Mahlzeit! Ohne Sonne ist die Klamottenwahl also i.d.R. einfacher.
Die Ausrüstung:
Kritisch an dem Tag waren 3 Dinge:
- mein rechtes Auge war danach völlig rot, offenbar Luft dran gekommen.
- der Nacken schmerzte, nicht wegen der Überstreckung, sondern sehr sicher auch aufgrund des Windes.
- beim 3. Punkt bin ich mir nicht mehr ganz sicher, aber für die Füße war es gerade so erträglich, etwas kälter oder mehr Regen, dann wäre es ungemütlich geworden.
Bis 7 Grad fahre ich gewöhnlich auch mit meinen Winterschuhen, nur waren dort in dem Moment keine Schuhplatten montiert, bin deswegen auf Radschuhe + Überschuhe ausgewichen. Mit Winterschuhen ist das alles problemlos.
Im Einzelnen:
1. Bei den sehr gut belüfteten Helmen friert einem u. U. schon das Hirn ein, deswegen ist es ratsam Punkt 2 zu beachten.
2. Craft Winter Hat Helmmütze
3. Sonnenbrille von Smith Optics: Das rote Auge gibt’s auch bei anderen Brillen. Bei trübem Wetter eine Brille mit gelbem oder orangem Glas fahren, für die Moral extrem wichtig.
4. Kurzarmtrikot Standard, ein längeres Trikot wird oft zu dick, ebenso ein zusätzliches Unterhemd, trage ich nicht.
5. Gore Windstopper Phantom Jacke: meine Jacke ist inzwischen 7 Jahre alt. Die Windstoppremembran ist laut Gore unkaputtbar, d.h. so eine Jacke kann fast ewig halten – aber wollen wir das überhaupt? Prinzipiell gibt es von Gore 3 Kategorien: einmal die sehr dünnen Windstopperwindjacken, fahre ich bei etwa 10-15 Grad, dann diese Sorte und dann die noch zusätzlich mit ordentlich Fleece ausgestatteten Jacken. Die lassen sich an der Werbung und auch durch die Gore-Webseite nicht immer gut auseinander halten. Klar ist, die ganz dicke Variante ist selbst nur mit einem kurzen Trikot darunter fürs Training praktisch immer zu dick.
6. Roeckl Gore-Tex Handschuhe Remo: Habe ich seit ungefähr 6 Jahren, wind-und wasserdicht, niemals gefroren damit. Nachteil bei diesem Modell ist ein recht geringes Polster, zwar ausreichender Grip, aber bei sehr langen Touren könnte ich mehr Dämpfung gebrauchen. Frotteedaumen für die Nase hat er auch nicht, falls der Handschuh irgendwann mal kaputt gehen sollte hat das mein nächster Handschuh. Nach wie vor im Einsatz ist noch ein Roeckl-Handschuh von Mitte der 90er Jahre, ohne Gore-Tex und ohne Windstopper, habe aber auch recht wenig in diesen gefroren.
7. Campagnolo „Torque“ Thermo Trägerhose: Ich glaube, die verschiedenen Hosen nehmen sich da nicht viel. Die Campa hat einen Steg, mir ist nicht wirklich klar, warum die meisten Hosen ohne Steg verkauft werden – eine typische Stelle, bei der man bei unglücklichen Umständen vor die Hunde gehen kann.
Bei noch niedrigeren Temperaturen gibt es nur eins: die Windstoppermembrane
8. Radsocken für max. 2,49€ vom Discounter: Wenn der Polypropylenanteil hoch ist, dann halten die Socken nach meiner Erfahrung auch sehr lange. Der Preis ist bei den Socken wohl kein Qualitätskriterium. Mit den dünnen Socken wurde es bei der Fahrt schon knapp. Besser im Winter dicke Socken anziehen. Wichtig: die Luft muss im Schuh zirkulieren können, wenn die Schuhe zu eng sind friert man wesentlich früher, das System ist bei den Händen genauso.
9. Bontrager RL Road: Habe ich erst seit ein paar Wochen, super! Preis-Leistungsverhältnis besser als bei der Konkurrenz, sehr dünne und daher biomechanisch günstige Carbonsohle, Schnellverschlußsystem, im Winter natürlich suboptimal.
10. Protective Überschuhe All-Weather Road
11. Nortwave Fahrenheit Winterschuhe: Weltklasse! Meine Schuhe für jedes Wetter bis max. 7 Grad. Von Northwave ausgeschrieben für -10 bis +15 Grad, es gibt auch noch eine Arctic-Varaiante für -25 bis +5 Grad. Ich fahre zusätzlich die identische Celsius-Version fürs MTB bzw. Alltagsrad. Schnellverschlußsystem, innerhalb von Sekunden an-und ausgezogen, was insbesondere im Winter nicht unwichtig ist, denn bei Minusgraden kann einem 5 min Schuhe + Überschuhe anziehen mit klammen Fingern in der Garage schon den Rest geben, bevor man überhaupt losgefahren ist.
Abschließend bleibt noch zu sagen, dass man nach meiner Erfahrung trotz Windstopper auch das Hirn einschalten und mitdenken muss. Bei langen Touren, könnte man meinen, sollte man sich tendenziell lieber etwas dicker anziehen!? Das Gegenteil ist der Fall, ich ziehe mich eher bei kurzen Touren etwas dicker an. Zur Arbeit oder wenn man sehr ruhig fährt kann man sich dick einpacken, sonst nicht.
Denn ein hoher Flüssigkeitsverlust durch zu dicke Klamotten ist bei kurzen Touren nicht schlimm, bei langen Touren kann man damit völlig vor die Hunde gehen. Zusätzlich friert man durch ein nasses Trikot noch mehr, trotz Windstopperjacke. Die Kunst ist es also, genauso angezogen zu sein, dass man auch von innen trocken zurückkommt, ist nicht immer ganz einfach.
Zu mir ist vielleicht noch zu sagen, dass ich in den Ausläufern des Rothaargebirges groß geworden bin und dort den größten Teil meines Lebens gefahren bin. Damals war mir nicht wirklich klar, warum Radprofi Kai H. sagen konnte, dass Straßentraining unter 0 Grad keinen Sinn macht, da hätte ich schon an den meisten Dezembertagen gar nicht fahren können. Seitdem ich im Rhein-Main-Gebiet wohne ist mir vieles klarer, auch warum viele im März schon abartig viele Kilometer in den Beinen haben konnten. Das ging so in meiner Heimat nicht wirklich, selbst bei größtem Willen nicht, denn die Phasen mit vereisten Straßen waren oftmals zu lang. Im Rhein-Main-Gebiet ist es doch deutlich einfacher, insbesondere für mich, da ich härtere Bedingungen gewohnt war und zumal man früher von der heutigen Ausrüstung träumen konnte.
Hallo Peter,
toller Beitrag! Ich bin auch eher ein Vertreter der „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung“ Fraktion. Ich fahre fast das ganze Jahr mit dem Rad ins Training, zwei Mal die Woche je 30 km. Und ja nach Terminen etc. auch mal auf die Arbeit, 63 km hin und zurück. Frühjahr bis Herbst ist natürlich etwas besser, denn im Winter ist’s mit Eis und Schnee manchmal etwas zu gefährlich, da bleibt das Rad in der Garage. Und wie du auch schreibst, hat man im Laufe der Zeit seine ganz individuelle Ausrüstung je nach Wetterlage im Kopf. Ein Blick auf’s Thermometer und den Wetterbericht und ich weiß was ich anziehe. Vielleicht noch ne Regenjacke und Überschuhe einpacken wenn’s wechselhaft ist und los. Nur bei den Schuhen bin ich noch auf der Suche, daher kommt mir der Artikel und das Video sehr gelegen. Ich werde mir die NW Celsius (Arctic) mal anschauen. Denn um die 0 °C herum wie heute sind die Füße nach ca. 30-40 Minuten schon nicht mehr warm und nach ner Stunde kalt. Ich habe zwar Thermo Überschuhe, aber die Kältebrücke ist wohl die Sohle, da kommt’s kalt her. Auch trotz Alu-Thermo Einlegesohle. Ich bin auf die Celsius gepannt. Dann gehen auch mal längere RR Touren, wenn das Wetter so herrlich ist wie z.B. der Sonntag war.
Grüße,
Olly